20.10.2018

Reutlinger General-Anzeiger

Ohne Genehmigung Erdmassen aufgehäuft, Bäume gefällt und Biotope zugeschüttet

REUTLINGEN. Wer derzeit am RMC-Gelände vorbeikommt, reibt sich verwundert die Augen: Gewaltige Erdhaufen türmen sich auf, die Biotope von einst sehen aus wie Ackerflächen, die Bäume, die noch stehen, machen einen reichlich mitgenommenen Eindruck. Die »Wandlung einer Landschaft«, so Dr. Claudius Müller, Ordnungsdezernent beim Landratsamt, ist unschön. Viel schlimmer: Sie erfolgte ohne jegliche Genehmigung. Am Anfang stand die gute Absicht engagierter Clubmitglieder – doch das Ganze lief gründlich schief. Der Verein ist um Schadensbegrenzung bemüht. »Wir werden alles tun, dass die Zustände wieder so werden, wie sie waren«, sagt der zerknirschte Vorsitzende Michael Saur beim Pressetermin am Tatort.

Das Gelände gehört der Stadt und ist an den 1. Rad- und Motorsportclub Reutlingen verpachtet. Seit den Achtzigerjahren unterliegt die Moto-Cross-Anlage dem Immissionsschutzgesetz, erklärt Claudius Müller. Und das bedeutet: »Jede Änderung an einer immissionsschutzrechtlichen Anlage muss dem Landratsamt gemeldet werden, um zu prüfen, ob sie relevant ist.«

Ende September erfahren

Von den erheblichen Änderungen auf dem RMC-Gelände erfuhr das Landratsamt Ende September, allerdings nicht vom Verein. Beim ersten Vor-Ort-Termin stellten Müller und seine Kollegen fest, dass gewaltige Erdauffüllungen – vermutlich Baustellenaushub – vorgenommen worden waren. Und zwar in einer Dimension, die laut Ordnungsdezernent vermuten lässt, »dass man versucht hat, Deponiekosten zu sparen«. Was schon mal schlecht ist. Noch schlechter die zweite Entdeckung: Die 15 Feuchtbiotope waren mit Baustellenerde zugeschüttet worden. Und das, so Müller, »in einer Mächtigkeit von bis zu einem Meter«. Glück für die Gelbbauchunken und anderen geschützten Amphibien, die sich dort normalerweise tummeln, dass die Biotope ausgetrocknet waren und sich ihre Bewohner längst Ersatzdomizile gesucht haben. Diese Alternative hatten die fünf Weiden auf dem Gelände nicht: Sie wurden einfach abgeholzt. »Und das während der Vegetationsperiode«, sagt Claudius Müller.

Das Landratsamt ist in zwei Funktionen in das Desaster auf dem RMC-Gelände involviert: Als untere Naturschutz- und als Baurechtsbehörde. Müller nennt die beiden »Brennpunkte«: die Beeinträchtigung eines ökologisch sehr hochwertigen Bereichs sowie die abfallwirtschaftliche Problematik der Auffüllung. Die sei offenbar erfolgt, um Deponiekosten zu sparen – was rechtlich natürlich nicht genehmigungsfähig sei. Rund 100 Lkw-Ladungen, schätzt Müller, waren notwendig, um die Erdmassen auf die etwa 2 000 Quadratmeter große Fläche zu schütten.

Landratsamt und Stadt reagierten schnell. Eigentlich hätte ein Gutachter eingeschaltet werden müssen, der prüft, ob die Biotope wieder herstellbar sind und wenn ja, mit welchen Maßnahmen. Doch man entschied sich, die »Mehrfachkenntnisse« vor Ort abzurufen, also Naturschutzverbände und die Listhof-Experten, die die Biotope gepflegt haben, mit ins Boot zu holen. Sie sollen die Sofortmaßnahmen zur Wiederherstellung der Biotope in Abstimmung mit der Naturschutzbehörde ökologisch begleiten. »Bei so viel örtlichem Know-how macht es keinen Sinn, extra einen Sachverständigen einzubeziehen«, sagt Claudius Müller. Ein erstes Treffen, um das Vorgehen abzustimmen, gab es am vergangenen Montag.

In bester Absicht

Dass auf dem RMC-Gelände »etwas verrutscht« ist, wie es Müller etwas untertrieben ausdrückt, erschließt sich auf den ersten Blick. »Aber wie es passieren konnte, war völlig unklar.« Michael Saur kann nur bedingt zur Erhellung beitragen. »Als ich vom Amt davon erfahren habe, hat’s mich erst mal gesetzt«, sagt der RMC-Vorsitzende. Das Ganze passierte während der Sommerferien, deshalb ging es auch an vielen anderen RMC’lern spurlos vorüber. Man habe, so Saur zur Chronologie, im Verein über einen Staub- und Lärmschutzwall diskutiert. Auch darüber, wie man den unebenen Parkplatz nivellieren könne. »Im Ehrenamt gibt es engagierte Mitarbeiter und noch engagiertere Mitarbeiter«, sagt er sibyllinisch. Die machten sich in bester Absicht, aber entschieden zu hemdsärmlig ans Werk. »Auf welche Weise auch immer«, so Saur. Fest steht, dass sie das Material besorgten und die Baufirma, so die Vermutung von Claudius Müller, als »Mitnahmeeffekt« dann auch noch überschüssigen Erdaushub ablagerte. Als er von der Sache erfahren habe, sei nichts mehr zu retten gewesen, sagt Saur. Der RMC werde aber alles tun, damit die »Renaturierung wieder Einzug hält und es im Naturschutz Verbesserungen gibt«. Auch eine interne Aufarbeitung kündigt er an.

Helmut Treutlein, Vorsitzender des Listhof-Trägervereins, radelt oft an dem Gelände vorbei, wunderte sich sehr über das, was dort passierte – und ging davon aus, dass es mit den Behörden abgestimmt ist. Im Listhof sei das selbstverständlich, alles werde mit der Stadt abgesprochen. Eigentlich, sagt Fabian Schäufele, stellvertretender Leiter des städtischen Amtes für Wirtschaft und Immobilien, »hätte der RMC wissen müssen, dass man im Außenbereich nicht einfach baggern darf und jede bauliche Veränderung anzuzeigen ist«.

Dass die Biotope auf dem Pachtgelände liegen, das, sagt Michael Saur, »war für uns unklar«. Als solche zu erkennen waren sie fast nicht mehr, meint Thomas Höfer vom Nabu. Zwar könnten sie sofort wieder angelegt werden. »Aber bis sie sich mit ihrer Vegetation entwickeln, dauert es fünf bis zehn Jahre.«

Der erste Schritt im weiteren Verfahren ist laut Claudius Müller die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands auf dem RMC-Gelände. Für den Staub- und Lärmschutzwall hat der Verein einen Antrag zu stellen. »Dann wird entschieden, in welcher Größe und Form.« Auf der um drei bis vier Meter zu hoch aufgefüllten Fläche muss die Erde wieder abtransportiert werden. Das Landratsamt lässt derzeit prüfen, ob das Material belastet ist. Davon sei aber eher nicht auszugehen.

Verstoß gegen das Naturschutzrecht, das Baurecht und auch noch das Abfallrecht – es kommt einiges an Ordnungswidrigkeiten zusammen, was am »Tatort« RMC-Gelände passiert ist. Den Verantwortlichen ausfindig zu machen, dürfte schwierig werden, mutmaßt Müller. »Unser Schwerpunkt ist aber nicht, wie man es ahndet, sondern wie man sinnvoll damit umgeht.«