30.07.2018

Reutlinger General-Anzeiger

Das Team MX Vogelwaid aus Sondelfingen ist in einer rasanten Sportart ziemlich erfolgreich

REUTLINGEN-SONDELFINGEN. Johannes »Joe« Vogelwaid kann laut werden, wenn der Nachwuchs nicht spurt. »Wer Motocross fährt, macht das ganz oder gar nicht«, sagt der 58-Jährige. »Weil es sonst gefährlich wird.« Seit 44 Jahren ist der Sondelfinger im Motocross-Sport unterwegs. Nach seiner Zeit als Aktiver beim 1. RMC wechselte er hinter die Kulissen einer Sportart, in der auch seine Söhne Kevin (27) und John (13) zu Hause sind. Joe Vogelwaid, der Bauschlosser und Karosseriebauer gelernt hat, organisiert Motocross-Lehrgänge, handelt mit Motorrädern und Zubehör und ist Teamchef von MX Vogelwaid, einer kleinen, aber sportlich erfolgreichen Truppe, die ihren Sitz in der Reutlinger Straße 9 hat.

Wenn der Vater die Jugend in den Senkel stellt, tut er das aus Fürsorge, nicht aus falsch verstandenem Ehrgeiz, den Eltern manchmal an den Tag legen. Beim Motocross tun Fehler weh, sagt Joe Vogelwaid. Mehr als beim Fußball oder Tennis. Zwei Jahre konnte Kevin, sein Ältester, nicht auf die Maschine, als er sich 2003 bei einem Sturz eine Ellenbogenfraktur zuzog. Seinem Bruder John blieben schwere Verletzungen bislang erspart. »Je fitter du bist, umso weniger passiert dir«, sagt Kevin Vogelwaid. Der Vater nickt.

»Du hast einen Führerschein der Klasse IV gebraucht«

»Als ich mit diesem Sport angefangen habe, kostete eine fünf Jahre alte Maico 2 500 Mark«, sagt Joe Vogelwaid. Für eine neue musste man gut das Doppelte hinlegen. Schutzkleidung, wie sie die Fahrer heute tragen, hat es damals nicht gegeben. »Aber du hast einen Führerschein der Klasse IV gebraucht.« Erst als Van Veen, ein niederländischer Moped- und Motorradhändler, 1976 ein 50ccm-Motorrad herausbrachte, durfte auch ein 14-Jähriger ohne Führerschein ins Rennen.

Team MX Vogelwaid aus Sondelfingen

Joe Vogelwaid hat sich 1998 aus dem aktiven Sport zurückgezogen, um zunächst seinen Sohn Kevin und später John zu fördern. »Mit Motocross angefangen habe ich im Alter von vier Jahren. Auf einer 50-ccm-Automatik. Die war 30 bis 40 Kilometer schnell«, sagt Kevin Vogelwaid, für den schon als Baby die Rennstrecke Spielzimmer war. Die ersten Runden haben Vater und Söhne auf einer eigenen Strecke in der Nähe von Sondelfingen gedreht, mehr Wiese als Motodrom. »90 Prozent meines Wissens, vom Fahren bis zum Schrauben, habe ich von meinem Vater«, sagt Kevin Vogelwaid. Bis vor fünf Jahren ist er noch aktiv gefahren. »Zwei bis drei Serien pro Jahre waren normal.« Baden-württembergische Meisterschaften, Deutsche Jugendmeisterschaften, die frühere Motocross Inter DM, die heute ADAC MX Masters heißt. Zunächst 50ccm, dann 65ccm, 85ccm und schließlich eine 350ccm-Maschine von KTM. Als er mit der Schule fertig war, musste er sich entscheiden: Profi oder Beruf. Er hat sich für den Beruf entschieden, weil Motocrossfahrer nicht genügend verdienen, um mit 35 Jahren aufhören zu können. Zumindest in Deutschland nicht. »Das große Geld machst du nur in Amerika. Dort kannst du Werbeverträge abschließen, die einen reich machen. Bei uns geht das nicht.« Kevin Vogelwaid schloss eine Lehre zum Industriemechaniker ab.

Weil er anschließend beruflich viel unterwegs war, blieb zum Training kaum Zeit. »Die Regel lautet: Zwei- bis dreimal die Woche aufs Motorrad. Dann noch Laufen, Schwimmen, Fahrrad fahren, weil Motocross mehr ist als nur draufsitzen und Gas geben.« Eine derart enge Taktung hat sich irgendwann nicht mehr mit dem Beruf vertragen. Stattdessen hat er seinen Trainerschein gemacht, um so im Team MX Vogelwaid sein Wissen an den Nachwuchs weitergeben zu können.

Die Entscheidung, ob sein Sohn Profi werden sollte, wurde vom Vater maßgeblich mitbeeinflusst. »Ich wusste, dass Kevin keine Freizeit und keine Kumpels mehr hat, wenn er sich für den Profisport entscheidet. Du musst mit dem Motocross-Sport schlafen, du musst ihn essen und trinken, wenn du erfolgreich sein willst. Sicherer ist eine abgeschlossene Lehre.« Die Entscheidung hat Kevin Vogelwaid nicht bereut – von ein paar kurzen Momenten einmal abgesehen.

John, sein jüngerer Bruder, war dreieinhalb Jahre alt, als er sein erstes Motorrad bekommen hat. »Das Fahren hat gut geklappt, auch wenn ich zunächst mal die Büsche kennengelernt habe. Ich bin aber gleich wieder draufgesessen.« Heute fährt er mit einer 85-ccm-Maschine um die baden-württembergische Meisterschaft mit. Fahrrad fahren, Joggen und Kraftraum sind auch ihm wichtig. »Das macht es viel einfacher, wenn man auf der Maschine sitzt und man die Zeit fahren kann, die man will.« In der Klasse 3, in der John fährt, dauern Rennen 15 Minuten plus eine Runde. Die Maschinen werden auf der Geraden bis zu 120 Kilometer schnell. »Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt zwischen 50 und 60 Stundenkilometer«, sagt Joe Vogelwaid, der cool bleibt, wenn seine Söhne auf der Strecke sind. »Nur beim Start geht mir die Düse. Davor habe ich Respekt, weil 40 Fahrer gleichzeitig loslegen und jeder an die Spitze will. In diesem Moment kannst du mich stechen. Da kommt kein Tropfen Blut.« Adrenalin pur.

»Mein Trainer ist Kevin, der auch mein Vorbild ist«

Zum Team MX Vogelwaid gehört auch Leon. Er wohnt mit seinen Eltern in Böblingen und fährt in der Klasse 2, wo Motorräder bis 65ccm am Start sind. Seit seinem achten Lebensjahr ist der 12-Jährige mit dem Motocrossvirus infiziert. Bei einem Probetraining wurde sein Talent erkannt und der Vater spendierte ihm eine Maschine. »Mein Trainer ist Kevin, der auch mein Vorbild ist. Auch Joe hat mir viel beigebracht.« Damit er wie die anderen Teammitglieder an Rennen teilnehmen kann, muss Leon Mitglied eines Vereins sein. Im 1. RMC haben sie alle eine Heimat gefunden. Der Verein wurde am 23. November 1887 als Radfahrer-Club Reutlingen gegründet. Am 3. März 1926 kam die Motorsportabteilung dazu. Seit Januar 1955 heißt der Radfahrerklub 1. Rad- und Motorsportclub 1887 Reutlingen.

Tom Militzer ist Freund und Teamkollege von John und Leon. Sechs Jahre war er alt, als er mit dem Motocrosssport angefangen hat. Auch er saß als Dreijähriger erstmals auf einem Motorrad. Das stand bei seiner Oma in der Scheune und gehörte seinem Vater Markus, der früher selbst Rennen gefahren ist. »Seitdem habe ich ein Motorrad gewollt«, sagt der Zehnjährige. Drei Jahre später erfüllte ihm sein Vater den Wunsch. »Ich dachte, die Euphorie legt sich bei meinem Sohn«, sagt Markus Militzer. Aber irgendwann hat dem Steppke Omas Wiese nicht mehr gereicht. »Beim Motocross kannst du viel fürs Leben lernen. Man hat Erfolge, man fällt hin, steht wieder auf und kämpft sich erneut nach vorne«, sagt Markus Militzer, der Joe Vogelwaid über den 1. RMC kennengelernt hat.

Wenn Kinder heute in den Motocross-Sport einsteigen wollen, müssen die Eltern 3 000 Euro für ein gebrauchtes 50-ccm-Motorrad und Schutzausrüstung auf den Tisch legen. Auf der Straße dürfen die Maschinen nicht fahren. »Das wollte ich auch nicht. Das Motorradfahren auf der Straße ist gefährlich. Dort gibt es zu viele Dinge, die du im Gegensatz zum Rennen nicht berechnen kannst. Zum Beispiel die Dummheit anderer Verkehrsteilnehmer«, sagt Kevin Vogelwaid, der im Dezember für vier Monate in die USA geht. »Das ist einerseits Urlaub, andererseits Saisonvorbereitung. Ich will im nächsten Jahr noch mal richtig angreifen und zwei Serien komplett mitfahren. Die USA ist das Traumland für Motocrossfahrer. Das Land ist weit, es gibt viel Motocrossstrecken. Alles ist um einiges größer als bei uns.«

John, Leon und Tom fahren im Herbst nach Berlin. Am 28. und 29. September treffen sich die erfolgreichsten deutschen Amateurfahrer des Jahres, um in den jeweiligen Klassen bis maximal 125ccm ihre Besten zu ermitteln. »Weil wir in Baden-Württemberg nur auf hartem Boden fahren und es in Berlin schweren, tiefen Sand gibt, müssen wir in Preetz in Schleswig-Holstein trainieren, wo es entsprechendes Gelände gibt. Wir müssen die Fahrer und die Maschinen auf diesen Boden einstellen«, sagt Joe Vogelwaid. Kann sein, dass der Vater dann wieder ein bisschen laut werden muss.